Freitag, 24. Juni 2016

Die Greisin, ihre Waldbewohner und der Steinhaufen




Bevor ich das Reich des Waldes betrete,
halte ich inne, versuche zur Ruhe zu kommen.
Zweifel die mich jagen, abzulegen.
Stürmische Gedanken zu beruhigen.
Erinnerungen verschlossen halten,
erlebtes vergessen.
Es gibt keinen Sinn, keinen Grund.
Es ist wie es ist.


Beschäftigt mit mir selbst,
habe ich sie nicht bemerkt.
Eine Hand berührt mich an der Schulter,
ganz sanft, voller Liebe, nicht bedrohlich.
Ich sehe auf und blicke in die freundlichen Augen einer Greisin.
Ich grüsse sie überrascht.

Die Greisen sagt nichts, lächelt mich einfach nur an.
Ihre Augen, so voller Güte und Freundlichkeit.
Dann nimmt sie meine eine Hand,
und legt einen kleinen Stein hinein.
Dann nimmt sie meine andere Hand,
und wir gehen ein Stück zusammen.
Sie redet nicht, sie lächelt.

Während wir so gehen, merke ich wie mein Herz leichter wird.
Mein Kopf hüllt sich in Schweigen, keine Gedanken.
So merke ich auch nicht, wo mich die Greisin hin führt.
Wir verlassen den Weg und sie zeigt mir verschiedene,
grosse und alte Bäume, die ich mir zu merken versuche.

Die Greisin lächelt auch in andere Richtungen,
winkt freundlich, ich verstehe nicht...
Sie macht mir klar, dass ich nicht richtig hinsehe,
und geht weiter.
Und dann sehe ich sie...die Waldbewohner.
Immer da, kaum beachtet...
Sie verstecken sich geschickt
und zeigen sich lange nicht jedem.








Und dann scheinen wir angekommen.
Eine Waldlichtung in derer Mitte ein kleiner Haufen Steine liegt.
Die Greisin lächelt und streichelt über den Steinhaufen,
dann sieht sie mich an.
Erst jetzt merke ich, dass auf den Steinen Worte geschrieben sind.
Trauer. Wut. Verzweiflung. Angst. Verlust.
Ich verstehe zunächst nichts, alles ist etwas wunderlich.







Sie zeigt auf meine Hand und ich öffne sie.
Zu meiner Überraschung stehen auch auf meinem Stein zwei Worte.
Angst und Zweifel.
Die Greisin deutet mir, die Steine ebenfalls auf den Haufen zu legen.

Dann nimmt sie mein Gesicht in ihre warmen Hände.
Sie lächelt und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
Dann ist sie weg.
Ich bleibe noch lange sitzen
und bemerke, wie ich mich leichter fühle.
Ich glaube, hier werden die Sorgen hin gebracht.
wenn sie kaum mehr tragbar sind.
Vorsichtig streiche ich über die anderen Steine,
wir sind so viele...

Dann mache ich mich auf meinen Rückweg.
Viel leichter, hoffnungsvoller.
Aber auch verwirrt, überrascht.
Es ist nicht wichtig wer die Greisin war,
es ist wichtig was sie mir gezeigt hat.
Um das ging es.
Wir sind nicht alleine.
Wir sind viele.
Und hier werden wir leichter.

© Die Waldfrau